Seelefant Coaching

Alles, was du brauchst, ist in dir

Ein Kind, das emotionalen Stress durch Erziehung und Missbrauch erlebt.

Ist dein Normal ein gutes Normal? - Schütze Kinder vor emotionalem Missbrauch

Stell dir vor, dein 11-jähriges Kind spielt Basketball. Eigentlich liebt es den Sport, aber in letzter Zeit fällt dir auf, dass es nach dem Training oft still und bedrückt nach Hause kommt. Du fragst, was los ist, aber die Antwort ist immer dieselbe: „Alles gut.“ Doch du spürst, dass da etwas nicht stimmt.

Also beschließt du beim nächsten Training zuzusehen. Du sitzt auf der Tribüne, und schon nach wenigen Minuten merkst du, was los ist. Der Trainer ist laut, schreit ständig Anweisungen und wird wütend, wenn die Kinder nicht sofort perfekt reagieren. Dann eskaliert die Situation: Er greift sein Zeichenbrett – das, auf dem er die Spielzüge erklärt – und schlägt es mit voller Wucht zu Boden. Die Kinder sitzen mit gesenkten Köpfen da, sichtbar eingeschüchtert. Ihr Blick sagt alles: Sie haben Angst etwas falsch zu machen. Sie geben ihr Bestes, doch es reicht nie aus. Kritik, keine Ermutigung.

Du bist entsetzt. Aber als du mit anderen Eltern sprichst reagieren sie fast gleichgültig: „Ach, das ist normal. Im Sport geht es halt rauer zu. Die Kinder müssen das lernen.“ Dein Kind sei vielleicht einfach „zu sensibel“. Aber ist das wirklich so? Seit wann ist es okay, dass unsere Kinder so behandelt werden?

Einladung zum Perspektivewechsel

Nun stell dir vor, du kommst nach einem anstrengenden Tag nach Hause. Du hast vielleicht eine Kleinigkeit vergessen oder etwas nicht perfekt erledigt. Dein Partner wird wütend, und nicht nur das: Er oder sie brüllt dich an und zerstört aus Frust etwas in eurer Wohnung. Wie würdest du dich fühlen? Wäre es dir wirklich egal? Wahrscheinlich nicht. Du würdest dich klein, verunsichert oder vielleicht sogar ängstlich fühlen.

Wenn das bei uns Erwachsenen solche Auswirkungen hat, wie kann es dann sein, dass wir von unseren Kindern erwarten, solche Szenen „einfach auszuhalten“? Wie kann es sein, dass wir glauben, sie seien „zu sensibel“, wenn sie emotional reagieren?

Emotionaler Missbrauch – was passiert hier wirklich?

Was der Trainer zeigt ist ein klassisches Beispiel für emotionalen Missbrauch, und es ist wichtig, diesen Begriff nicht leichtfertig zu verwenden. Emotionaler Missbrauch kann schwer zu erkennen sein, gerade weil er oft subtil beginnt und von außen als „strenge Erziehung“ oder „harter Ton“ abgetan wird. Doch die langfristigen Auswirkungen auf Kinder sind erheblich. Was macht emotionalen Missbrauch aus?

Hier einige der wichtigsten Kennzeichen von emotionalem Missbrauch:

  1. Ständige Kritik und Abwertung: Der Trainer kritisiert die Kinder unentwegt, immer wieder werden ihre Leistungen herabgesetzt. Es gibt kein Lob, keine positiven Rückmeldungen. Diese Art von Kritik geht über das Maß hinaus, das vielleicht zur Verbesserung gedacht ist – es zielt auf die Persönlichkeit der Kinder ab. „Ihr seid zu dumm“, „Ihr macht immer alles falsch.“ Das Ziel? Das Selbstwertgefühl der Kinder wird Stück für Stück untergraben, bis sie sich selbst für unfähig halten. Kein Lob – nur das Gefühl, nie genug zu sein.
  2. Unberechenbare Wutausbrüche: Der Trainer verliert plötzlich die Kontrolle, rastet aus und zerstört sein Zeichenbrett vor den Augen der Kinder. Solche Ausbrüche hinterlassen bleibende Spuren. Kinder, die das erleben, lernen schnell, dass sie ständig auf der Hut sein müssen. Sie beginnen ihre eigenen Gefühle zu unterdrücken, um keine „falsche“ Reaktion zu zeigen und den Wutausbruch des Trainers nicht weiter zu provozieren. Angst wird zur ständigen Begleiterin.
  3. Gaslighting und Schuldzuweisungen: Selbst wenn du als Elternteil dieses Verhalten hinterfragst wird dir oft gesagt: „Das ist doch ganz normal.“ Das ist eine Form von Gaslighting. Deine Wahrnehmung wird verdreht, so dass du am Ende an dir selbst zweifelst. Du wirst vielleicht sogar dazu gebracht zu glauben, dass dein Kind überreagiert oder „zu sensibel“ ist, obwohl es ganz natürliche Reaktionen auf ein ungesundes Umfeld zeigt.
  4. Emotionaler Druck und Manipulation: Der Trainer isoliert Kinder, die nicht seinen Erwartungen entsprechen, und stellt sie bloß. Er vergleicht sie ständig mit anderen: „Schaut, die spielen gut. Ihr versaut es nur wieder.“ Diese Form der emotionalen Erpressung – das Gefühl, nie gut genug zu sein – ist extrem belastend. Kinder, die so behandelt werden beginnen ihren eigenen Wert in Frage zu stellen. Sie glauben, dass sie nur dann liebenswert oder wertvoll sind, wenn sie die unerreichbaren Erwartungen des Trainers erfüllen.
  5. Isolation und Kontrolle: Ein weiteres Kennzeichen von emotionalem Missbrauch ist die gezielte Isolation von einzelnen Kindern. Die, die „versagen“, werden ausgegrenzt oder vor der Gruppe bloßgestellt. Das schafft ein Umfeld, in dem das Kind das Gefühl hat allein zu sein, ohne Unterstützung – eine extrem belastende Erfahrung für ein Kind, das sich noch in der Entwicklung befindet.
  6. Schaffung einer toxischen Umgebung: Emotionaler Missbrauch schafft eine Atmosphäre, in der Kritik, Scham und Schuld dominieren. Es gibt keine Räume für Fehler oder Wachstum, nur Angst vor dem nächsten Wutausbruch oder der nächsten Abwertung. Das Resultat? Ein Umfeld, das Kontrolle und Abwertung fördert, in dem die Kinder emotionalen Schaden erleiden.

All diese Aspekte führen dazu, dass Kinder in einem ständigen Zustand der Anspannung leben. Sie lernen, dass sie immer die Schuld tragen, dass sie es nie recht machen können, und dass sie immer aufpassen müssen, um nicht noch mehr Ärger zu verursachen. Sie verinnerlichen diese toxischen Muster und wachsen mit der Überzeugung auf, dass es normal ist, sich wertlos zu fühlen oder in ständiger Angst zu leben. Sie werden zu Eltern, die dieses Verhalten als „normal“ bewerten.

Die neurologischen Folgen von emotionalem Missbrauch

Emotionale Gewalt hat nicht nur unmittelbare Auswirkungen auf das Verhalten und die Gefühle eines Kindes – sie greift auch direkt in die Gehirnentwicklung ein. Das kindliche Gehirn ist in dieser Phase besonders plastisch und formbar. Diese Plastizität macht es anfällig für negative Einflüsse, insbesondere durch anhaltenden emotionalen Stress.

  1. Chronischer Stress und das Stresshormon Cortisol: Kinder, die regelmäßig emotionalen Missbrauch erleben, sind dauerhaft unter Stress. Der Körper reagiert darauf, indem er verstärkt das Hormon Cortisol ausschüttet. Langfristig führt ein hoher Cortisolspiegel zu Schäden im Gehirn, insbesondere in Bereichen wie dem Hippocampus, der für Gedächtnis und Lernprozesse zuständig ist. Kinder unter chronischem Stress haben oft Schwierigkeiten, sich zu konzentrieren, sich Dinge zu merken oder auf neue Informationen zuzugreifen.
  2. Beeinträchtigung des präfrontalen Cortex: Der präfrontale Cortex ist der Teil des Gehirns, der für rationale Entscheidungen, Impulskontrolle und das Verständnis sozialer Situationen zuständig ist. Bei Kindern ist dieser Bereich noch nicht vollständig entwickelt. Emotionaler Missbrauch stört diese Entwicklung, da das Gehirn im Stressmodus verharrt. Kinder lernen nicht, in Ruhe nach Lösungen zu suchen oder rationale Entscheidungen zu treffen – sie leben in einem ständigen „Kampf- oder Flucht“-Modus. Dies kann zu Problemen bei der emotionalen Selbstregulation, Entscheidungsfindung und sozialer Interaktion führen.
  3. Veränderte Amygdala-Funktion: Die Amygdala ist das Zentrum für die Verarbeitung von Angst und Emotionen. Bei Kindern, die wiederholt emotionalem Missbrauch ausgesetzt sind, wird die Amygdala hyperaktiv. Das führt dazu, dass sie ständig auf Gefahren vorbereitet sind, auch in Situationen, die eigentlich sicher sind. Ein hyperaktives Alarmsystem kann zu übermäßigen Ängsten, Panik und emotionalen Überreaktionen führen.
  4. Langfristige Auswirkungen auf das Selbstwertgefühl und soziale Bindungen: Kinder, die emotionalen Missbrauch erleben, haben oft Probleme, stabile und gesunde Bindungen zu anderen Menschen aufzubauen. Sie lernen, dass Beziehungen auf Angst, Kontrolle und Abwertung basieren. Dies kann sich bis ins Erwachsenenalter ziehen und in toxischen Beziehungen und einem geringen Selbstwertgefühl äußern. Sie werden zu Menschen, die dieses Muster weiterleben.

Kinder haben keine Wahl

Erwachsene können emotionalen Missbrauch oft erkennen, wenn auch nicht immer sofort. Sie haben die Fähigkeit Perspektiven zu wechseln und das Verhalten anderer zu hinterfragen. Kinder hingegen haben diese Fähigkeit noch nicht – besonders nicht in stressigen Situationen. Der präfrontale Cortex, der diese rationale Denkweise ermöglicht, ist bei Kindern noch nicht vollständig entwickelt. Das bedeutet, dass sie das Verhalten des Trainers nicht interpretieren können als: „Er hat Probleme, und das ist nicht meine Schuld.“

Stattdessen sehen sie sich selbst als die Ursache. „Ich mache alles falsch, ich bin der Grund für seine Wut.“ Das führt zu tief verwurzelten Schuldgefühlen und Ängsten, die nicht nur das Selbstbild des Kindes beeinträchtigen, sondern auch die Art und Weise, wie es sich in Beziehungen verhält – jetzt und in der Zukunft.

Ein toxisches Normal

Wir müssen uns fragen: Ist das wirklich normal? Viele Eltern und Trainer rechtfertigen solches Verhalten mit dem Satz: „So ist es eben im Sport.“ Doch das bedeutet nicht, dass es gut oder gesund ist. Kinder müssen gefördert, motiviert und unterstützt werden, nicht unter ständigem Druck und Kritik stehen. Das ist kein „hartes Training“, das ist emotionaler Missbrauch.

Es ist an der Zeit unser Verständnis von „Normal“ zu hinterfragen. Wenn das Normal für dein Kind emotionaler Stress, Angst und Selbstzweifel ist, dann ist es vielleicht an der Zeit, dieses Normal zu überdenken. 

Dein „Normal“ sollte sicher und gut sein

Es ist nicht normal, dass Kinder in einer Umgebung aufwachsen, in der sie ständig kritisiert, beschämt und manipuliert werden. Es ist nicht normal, dass ein Trainer die Macht hat, Kinder emotional zu brechen. Wenn wir diese Verhaltensweisen als „normal“ akzeptieren, erlauben wir, dass toxische Muster über Generationen hinweg weitergetragen werden. 

Stelle dir die Frage: Ist dein Normal wirklich ein gutes Normal? Denn wir haben die Verantwortung unsere Kinder vor emotionalem Missbrauch zu schützen – nicht nur vor dem, was wir sehen, sondern vor dem, was wir für normal halten